Viele Grosspersönlichkeiten auf der Weltbühne diktieren den Lauf der Ereignisse, und viele Menschen – viel zu viele – hören auf sie, anstatt auf ihre eigenen Anliegen zu achten. Sie verwechseln sie. Das Ergebnis fällt entsprechend aus.

Von Aurel Schmidt

Doch! Noch einmal Trump! Mit seinen Entgleisungen müssen wir uns weiter befassen, ob wir wollen oder nicht.

Er ist ein Narziss, vielleicht ein gefährlicher Psychopath. Aber vor allem ist er ein kleines Kind, das seine Spielsachen vehement verteidigt. Das ist meine Wasserpistole, mein Teddybär, meine Plastikschaufel, um im Sand zu wühlen. Und mein Sand ist es auch.

Man kommt ihm nicht bei, nach der Methode: Regel Nr. 1: Er hat immer recht. Regel Nr. 2: Wenn er nicht recht haben sollte, was unvorstellbar ist, gilt automatisch Regel Nr. 1. Er ist der Grösste, aber es fehlt ihm an Grösse, Stil, Format – und politischer Erfahrung sowieso. Mit allen legt er sich an: der WHO; den Vertrag Open Skies kritisiert er; neuerdings hat er es auf den Internationalen Gerichtshof abgesehen (wie andere Staaten). Zuviel Rücksichtnahme schränkt sein Aktionsradius ein. Also lehnt er sie ab. Seine Anhänger sehen darin ein Zeichen von Energie und Tatkraft, aber es ist nur die alte "Arroganz der Macht", wie sie der US-amerikanische Aussenpolitiker J. William Fulbright kritisiert hat. Es ist lange her....

Er steht nicht über dem Gemenge, sondern nimmt als Partisan teil, zum Beispiel auf der Seite der Michigan Milizen. Konfrontation ist seine Methode, nicht Ausgleich der Interessen, nicht der Versuch, die Menschen zusammenzubringen, wie das zum Beispiel in Frankreich jeder Kleinstadt-Politiker versucht, wenigstens verbal, wenn er von "rassemblement" spricht, von Vereinigung, Zusammenführung, was der wichtigste Begriff im französischen Polit-Vokabular ist.

Ich! ich! ich!

Vor allem ist er ein Meister der Verdrehung und Desinformation. Wenn in Minneapolis ein Afroamerikaner von der Polizei erwürgt wird, und die Menschen dagegen protestieren, will er Ruhe und Ordnung wiederherstellen. Als ob Aufruhr und Unordnung nicht Zustände wären, denen bestimmte Ereignisse vorausgegangen sind, die sie ausgelöst haben. Man muss sofort an die ätzende Bemerkung von Karl Kraus denken: "Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende bereitet."

Vor allem übersieht Trump, dass angemessene soziale Verhältnisse die konstruktivste Voraussetzung für eine friedliche, gerechte, konviviale Entwicklung sind. Es wird dann immer noch abweichende Ansichten und Meinungsdifferenzen geben, aber solche, die sich auf einer vernünftigen Grundlage lösen lassen.

Warum Trump? Gute Frage. Weil er die schä(n)dliche Verkörperung des Zeitgeists von heute ist, den der deutsch-amerikanische Politologe Yascha Mounk mit dem Begriff "Entkonsolidierung" (gemeint ist: der Demokratie) umschrieben hat.

Wir leben in einer Gesellschaft, die durch exzessiven Individualismus formiert ist. Dieser Individualismus war einmal eine Errungenschaft auf dem Weg der Befreiung der Menschen von der Vorherrschaft von Staat und Kirche. Aber diese Entwicklung ist schon vor längerer Zeit in ihr Gegenteil gekippt. Die Menschen haben verlernt zu sprechen und können nur noch "ich! ich! ich!" sagen, allenfalls "wir! wir! wir!", wenn es um die Wortführer der neuen identitären Bewegung geht. Die sogenannten sozialen Medien haben hier ihren Teil beigetragen.

Eine Gesamtvorstellung der Welt von heute und eine Positionierung jedes und jeder Einzelnen in ihr zu konkretisieren geht weit über alles Denkbare hinaus. Sie ist überhaupt nicht gefragt und wird von jedem Fussballfan, jedem Parkplatzbewirtschaftungspolitiker, jedem Anhänger der "Partymeute" (neu im urbanen Vokabular) als Breitseite auf die individuelle Freiheit empfunden.

Die Folge ist der Vollzug der Konsumdemokratie beziehungsweise – als Folge der Folge – der Verlust der Zivilgesellschaft. Die Ursache davon ist wiederum die Tatsache, dass es den wirtschaftlichen Exponenten gelungen ist, ökonomische Imperative zur Kondition der Gesellschaftsordnung zu machen. Die Wirtschaft in ihrem gegenwärtigen Zustand schafft ein Maximum an sozialer Ungleichheit, die sich so katastrophal auf den Ideenhorizont der Menschen auswirkt, dass sie bereitwillig den Schalmeienklängen der Rattenfänger und Populisten hinterherlaufen.

Haben wir das gewollt?

Es ist ist in diesem Zusammenhang interessant, dass Trump, um seine Qualitäten selbst zu rühmen, sich gern auf seine Erfahrungen als Geschäftsmann beruft. Noch eine Fakemeldung aus seiner Küche. Zudem vergisst er, dass die Gesellschaft beziehungsweise die Demokratie kein Konzern ist und die dort geltenden Regeln sich nicht auf diese übertragen lassen. Selbstverständlich ist eine gut funktionierende Wirtschaft unerlässlich für das Wohlergehen der Menschen – aller Menschen –, doch gerade das ist heute nur bedingt der Fall. Zu viele gehen leer aus.

Trump ist natürlich nicht allein. Es gehören noch ein paar weitere Gesellen dazu: Bolsonaro, Putin, Modi, Erdogan, der sich in seiner Verblendung in Nordafrika einmischt und in seinem Land die freieste Zensur der Welt zulässt. Oder Kim Yong-un, der Nordkorea wie eine Sekte anführt. Hinzu kommen einige Wirtschaftsführer und Medienmogule sowie einige helles Entzücken verbreitende Stars und Sternchen. Ihr Einfluss ist gross. Viel zu gross. Sie haben erreicht, dass die Menschen nicht mehr in der Lage sind zu denken und zu urteilen, was sie selbst angeht.

War das gewollt? Nein, niemals! Doch, ist es. Falls nicht, haben wir es zugelassen.Wie sonst wäre der elende Zustand der Welt zu erklären? Man kann es nicht anders sagen.

 

26. Juni 2020