So hat es angefangen: Vor mehr als 50 Jahren trafen sich in Hamburg ein paar junge Leute. Es waren Künstler, Literaten, Menschen, die voller Tatendrang waren, Ideen hatten und Projekte wälzten, die sie umsetzen wollten. Es wurden Diskussionen geführt, Gedanken weiterentwickelt, Möglichkeiten einer Realisierung untersucht. Man dachte an die Veröffentlichung von Büchern, aber dafür fehlte das Geld. Es kamen nur einfache und billige Publikationsformen in Frage wie Lose-Blatt-Veröffentlichungen oder eine Stadtteilzeitung. Das war der Gründungsakt der Edition, die den Namen von Thomas Howeg in ihrem Namen trägt.

Ich kenne Howeg und bin seinen Verlagsproduktionen wiederholt begegnet. Auch sind zwei Veröffentlichungen von mir bei ihm erschienen, einmal, 1992, der Bogendruck "Ambulante Orte. Über Nomadologie", herausgegeben von Klaus Merz in einer von ihm betreuten Reihe. Nomadologie ist eine Theorie zu Differenz und Diskontinuität, die sich auf "Mille Plateaux" (1980) der französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari bezieht und 1990 das Thema des Steirischen Herbstes in Graz bildete.

Die zweite Publikation war der Begleittext zu einer poetischen Foto-Dokumentation mit Abbildungen von Kaminen und Cheminées, die der Zürcher Fotograf Thomas Burla auf seinen Streifzügen in einfachen Wohnsitzen in den entlegenen Tessiner Tälern und in vornehmen Palästen und Patrizierhäusern ausfindig gemacht und aufgenommen hat ("Camini. Tessiner Feuerstellen", 2013). Ich habe versucht, diese camini als Lebensorte zu interpretieren, an denen und rund um die sich das oft arme Leben der Menschen im italienischen Kanton abgespielt hat. Zuvor hatte Thomas Burla zusammen mit Ralph Huth schon den Bildband "Grotti, Splüi, Cantine" herausgegeben (ein Grotto ist im Tessin ein Felsenkeller oder eine zugemauerte Felsenhöhle zur Aufbewahrung von Wein und Käse, heute oft in einen Restaurationsbetrieb umgewandelt). Beide Werke sind als Beiträge zu einer Tessiner Ethnologie gedacht.

Aus dem früheren Programm der Edition Howeg hat es mir ein Titel besonders angetan: die "Theorie des Gehens" von Honoré de Balzac, eine seiner verschiedenen Physiologien (Sozialkunden) und eine Untersuchung darüber, "was im Menschen vorgeht, wenn er geht", läuft, marschiert, promeniert, flaniert, stiefelt...

Bücher, die man nicht vergisst

Begonnen als Verleger in einem konsequenten Sinn hat Thomas Howeg, als er in die Schweiz übersiedelte und Schriftsteller wie Felix Philipp Ingold und Künstler wie André Thomkins kennen lernte und zwischen ihnen und vielen anderen die Ideen anfingen zu zirkulieren.

Im Fall der Edition Howeg von Büchern zu sprechen, wie man sie von einem Verlag erwartet, wäre nun allerdings etwas verwegen. Man weiss schon: Bücher sind zwischen zwei Buchdeckeln gebundene bedruckte Seiten mit Texten jeglichen Inhalts, also etwas Ähnliches wie Sandwiches, nur nicht zum Essen, sondern zum Lesen. Auch das ist nur zum Teil zutreffend. Die Veröffentlichungen aus dem Haus Howeg sind natürlich immer auch etwas zum Lesen, aber sie sind zugleich viel mehr: etwas mit einem Fluidum Behaftetes, von der Norm Abweichendes.

Dies gerade ist das Einzigartige und Unverwechselbare an Howegs Verlegertätigkeit. Howeg ist ein Initiator, ein Demiurg und jede seiner Publikation eine einmalige Erfindung, eine Einwirkung, eine materiell gewordene Idee. Etwas, das entsteht, das dann da ist und mit dem man etwas anfangen kann. Falls man dazu in der Lage ist. Das Buch wird zum Kunstobjekt, schliesslich zum Medium, zum Format, wie man heute sagt. Das Erfinderische daran macht Bücher, Werke, Produkte, Artefakte zu Bausteinen, dazu geschaffen, um damit zu spielen. Wer nicht damit umzugehen weiss, ist verloren und hält, in mephistophelischer Diktion, die Teile in der Hand, nur fehlt das "geistige Band" – jene Gabe, mit der es vielleicht gelingt, eine andere Frequenz einzustellen beziehungsweise generell in einen anderen Modus überzuwechseln.

In der Form liegt die Verführung

Thomas Howeg hat Bogendrucke verlegt; in Schachteln lose Blätter mit Gedichten verbreitet; in den Universalkästen der Firma Boesner, einem Grossisten für Künstlermaterial, Überraschungen eingebaut, einmal sogar mit einem Mini-Monitor und einer Filmprojektion. Alles ist möglich, was aus einem lebendigen Geist hervorsprudelt und den Geist, der bekanntlich ein "Wühler" ist ( Jacob Burckhardt), seinerseits wiederum anregt, animiert, in Bewegung und in Begeisterung versetzt.

Fünfzig Jahre, seit den aufregenden Zeiten in Hamburg, als alles infrage gestellt und von Grund auf erneuert wurde, ist es her, seit Howeg nun auf diesen Wegen der Eingebung wandelt. Er ist, wie wir alle, älter geworden, aber nicht müde. Der Einfall, die Neugier, das Experimentieren sind Überlebenswerkzeuge. Das Format ist der Weg, um den Buchinhalt (Lyrik, Prosa, Texte, Sprachversuche, Illustrationen) wie einen Kassiber in die Öffentlichkeit zu schmuggeln.

Wer heute eine Buchhandlung aufsucht, sieht meistens das Immergleiche, Roman neben Roman (weil sie sich am besten "verkaufen" lassen), lineare Literatur also, aber wenig, was inspiriert, was Freude bereitet, was zum Beispiel gern in die Hand genommen wird. Denn das ist nicht das Unwesentlichste am Ganzen: die Tatsache, dass in der Gestaltung, in der Präsentation, in der Form die erste Verführung liegt. Jedes Mal, wenn ich in Paris bin, besuche ich Buchhandlungen und schaue mir an, wie die Bücher gemacht sind: auf die Masse des Buchs, auf die Qualität des Papiers, auf Schrifttyp und Grösse, Zahl der Zeichen im Verhältnis zur Seite, Satzspiegel, immer einzigartig. Manchmal kaufe ich auch das eine oder andere Buch, stelle es zu Hause auf und denke: Voilà un livre. Ein Lob der Buchgestaltung. Hier ist jemandem eingefallen, was ein Buch auch alles noch ist. Man kann sich kaum etwas Subversiveres vorstellen.

Etwas verdienen damit kann man kaum, reich werden überhaupt nicht. Thomas Howeg macht trotzdem weiter. Zu gut weiss er: Die Grenzen des Möglichen, das Publikum zu erreichen, sind begrenzt. Wenn er weitermacht, dann aus Widerstand gegen Routine und Rentabilitätsdenken – gegen den Zeitgeist. Es gibt heute Wichtigeres zu tun als zu lesen, möchte man manchmal meinen: Kickboard oder E-Trottinet fahren; Fussball am Fernsehen schauen; surfen; chillen; gamen; telefonieren. Und Musik hat sich als räumliche Atmosphäre endgültig etabliert.

Damit haben wir uns abgefunden. Die Magie des Druckwerks entgeht vielen Menschen. Aber die Sache deshalb auf sich beruhen lassen – das kommt auch nicht in Frage.

Thomas Howeg arbeitet für eine Minderheit, für Kenner und Connaisseurs, die wissen, dass es stets um mehr geht als die Sache selbst, die vorliegt. Weil jeder Text, jedes Werk, jedes Produkt, jedes Erzeugnis auf seine eigene Art die Welt verändert.