Religion nimmt in den Medien und in der öffentlichen Diskussion einen Platz einnimmt, der möglicherweise übertrieben ist und einen falschen Visibilitätseffet erzielt. Die Zahl der „Religionsfreien“ könnte wesentlich grösser sein, als es der öffentliche Eindruck vermuten lässt.

Warum Religion so viel Aufsehen erregt, ist schwer zu sagen. Der deutsche Philosoph Michael Schmidt-Salomon meint in seinem „Manifest des evolutionären Humanismus“, dass Religion den Gläubigen einen „Selektionsvorteil“ verschafft. Das ist ein überlegendswerter Gedanke. Vielleicht liegt der Grund auch in einer „Traditionsblindheit“.

Schmidt-Salomon ist Geschäftsführer der Bruno-Giordano-Gesellschaft. In seinem „Manifest“, das er für sie verfasst hat, lässt er nichts gelten, was nicht einer kritischen Überprüfung unterzogen werden kann. Das heisst: Offenheit statt Offenbarung. Die Wissenschaften sind keine „ewigen Wahrheiten“, wie müssen permanent hinterfragt werden – anders als die Religionen, die sich in der Obskurität ihrer nicht kritisierbaren Behauptungen verstecken.

Die sogenannten heiligen Texte haben, wenn man sie genauer liest, mit Humanität, Menschenrechten, Demokratie, Meinungsfreiheit wenig zu tun. Diese gesellschaftspolitischen Errungenschaften, zu denen auch die Autonomie des Individuums gehört, sind nicht aus den heiligen Texten hervorgegangen, wie selbst kritische Theologen behaupten, sondern diesen abgerungen. Sämtliche religiösen Quellentexte stehen, so Schmidt-Salomon, „weit unter dem ethischen Mindeststandard jeder halbwegs zivilisierten Gesellschaft“. Auch dies ein überlegenswerter Gedanke.

Wie Michel Onfray („Warum wir keinen Gott brauchen“, München 2006) hält sich Schmidt-Salomon an den Hedonismus und kritisiert an den Religionen, dass sie zu wenig oder gar nicht auf die existierenden vitalen Bedürfnisse der Menschen eingehen. Der Sinn des Lebens liegt nicht ausserhalb des Lebens, sondern in diesem Leben selbst, nicht in einem unbekannten und imaginären Jenseits, sondern im konkreten Diesseits, im Hier und Heute.

Der „evolutionäre Humanismus“, den Schmidt-Salomon vertritt, ist heute nur als Philosophie des Trotzdem möglich. Es gibt sehr wohl eine „richtige Seite“, die nicht im Namen der „intellektuellen Schweigespirale‘“ verraten werden darf.

Bibliografie. Michael Schmidt-Salomon: Manifest des evolutionären Humanismus. Aschaffenburg (Alibri) 2006. www.alibri.de