Entweder ein 500 Seiten umfassendes Werk über Flauberts Modernität oder ein knappes, stichwortartig angeordnetes, leicht lesbares "Wörterbuch" über Flauberts zentrale Themen und Ideen: Beide Möglichkeiten hat Barbara Vinken versucht (das Wörterbuch zusammen mit Cornelia Wild).

Für mich ist klar: Die zweite Form ist die attraktivere. Auch die modernere, mittels derer Lesen als Surfen und Verlinken möglich wird. Das sprunghafte, assoziative, komplementäre Lesen ist auch eine operative Methode. Das macht es zu einem ludischen Vorgang und intelligenten Vergnügen. Warum soll Lesen nicht Spass bereiten?

Zahlreiche deutsche und französische Flaubert-Kenner und -Exegeten, darunter auch einige Klassiker (Proust, Barthes, Foucault) haben 70 Flaubert-bezogene Themen wie „Dummheit“, „Fontainebleau“, „Karthago“, „Kutsche“, „Paris“ und so weiter aufgegriffen und abgehandelt.

Mal angenommen, dass Flaubert im 19. Jahrhundert Frankreichs grösster Schriftsteller war (was Balzac und Zola Unrecht tut), dann kann das nichts anderes heissen, als dass sein Werk mit seiner Zeit und den Ideen der Zeit in einem engen Verhältnis steht. Oder anders gesagt, dass es einen enzyklopädischen Charakter aufweist (wofür „Bouvard und Pécuchet“ das ironische Exempel ist). Die alphabetische Anordnung kommt dieser Erwartung soweit wie möglich entgegen; ausserdem wird das Werk des „Meisters von Croisset“ auf diese Weise verdientermassen auch als kleines Universum verständlich.

Die Ordnung des Wissens, die in einem Kurzschluss in Unwissen umschlägt, hat Flaubert sein Leben lang aufgeregt. Das Thema Dummheit kommt zwar zur Hauptsache in seinen Briefen vor, aber in „Bouvard un Pécuchet“ hat Flaubert ihr ein Denkmal gesetzt. Nein, einen Tempel.

Erstaunlich ist am "Wörterbuch" nur, dass der „sottisier“ nirgends vorkommt. Mit dem Begriff ist die Sammlung von Dummheiten und Gemeinplätzen („idées reçues“) gemeint, die Flaubert gesammelt hat, als er die 1500 Bücher las, um „Bouvard und Pécuchet“ zu schreiben und darin genussvoll den veröffentlichten, mithin öffentlichen Unsinn auszubreiten. Hans-Horst Henschen hat das Konvolut des „sottisier“, der als zweiter Band von „Bouvard und Pécuchet“ gedacht war, aber von Flaubert nicht vollendet werden konnte, ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel „Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit“ 2004 bei Eichborn veröffentlicht: ein wahres Labyrinth des (Un-)Wissens der Epoche. In Frankreich liegt der „sottisier“ nur in Auszügen vor. Vielleicht kommt er deshalb im Flaubert-Wörterbuch nicht vor.

Überraschend ist übrigens, dass der Dummheitsexzess, den Flaubert geisselte, sich in einer Zeit zutrug, in denen Larousse und Littré als Herausgeber die grossen Enzyklopädien auf den Weg gebracht haben und das Wissen verbreiten halfen, worauf Anne Herschberg Pierrot in ihrem Beitrag hinweist. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie es möglich ist, „die Fehlerhaftigkeit jeder Äusserung aufzuzeigen, ohne dass die Wahrheit darin bestehen würde, das Gegenteil zu sagen: Die idées reçues sind keine falschen Ideen, sie sind, was man glaubt“.

Das Bild des Solitärs, als welcher Flaubert in Croisset gern dargestellt wird, ist wahrscheinlich selbst eine "idée reçue" und lässt sich nicht unumwunden aufrecht erhalten. Flaubert liebte das gesellige Leben, wenn er sich in Paris aufhielt. Die legendäre Zurückgezogenheit hat wohl mehr mit einer "schriftgestützten Askese" zu tun, wie es Jörg Dünne in einem Beitrag im "Wörterbuch" ausdrückt. Das ist der Punkt, von dem aus es möglich ist, die Auseinandersetzung mit Flaubert, nämlich mit seiner Schreibpraxis und seinem Stil, fortzusetzen.

Arsen bis Zucker. Flaubert-Wörterbuch. Hgg. von Barbara Vinken und Cornelia Wild. Merve Verlag. Fr. 37.90.