Fast muss man Roland Reuss dankbar sein, dass er in seinem kleinen, radikalen Buch „Ende der Hypnose. Vom Netz zum Buch“ ein paar Überlegungen angestellt hat, die eigentlich selbstverständlich sind, die aber kaum jemand auszusprechen wagt. Warum das so ist, bleibt offen. Vielleicht aus Angst, sich zu blamieren mit einer Meinung, die heute nicht sehr hoch im Kurs steht, aber noch lang nicht überholten ist, während der Diskurs in eine ganz andere Richtung führt. Reuss meint: in eine falsche.
Reuss ist Literaur- und Editionswissenschafter in Heidelberg. Er verteidigt die Bedeutung des Buchs und damit implizit die Kultur gegen das Netz. Noch mehr: gegen die Verflachung der Kultur durch die Dominanz der Betriebswissenschaftslehre, die sich in sämtlichen Bereichen des gewöhnlichen Lebens breit gemacht hat.
Das moderne „resultierende Rumpfsubjekt“ ist durch die moderne Kommunikationstechnologie korrumpiert worden und hat seinen Geist an der Garderobe abgegeben. Macht nichts. Hauptsache, wenn es „sich als Marke endlich präsentieren“ kann.
Das Netz ist ein Dienstleistungsbetrieb, das den User abholt. Das ist schon die erste Frechtheit und ein eklatanter Mangel an Urteilskraft“. Abgeholt werden muss niemand, der seine sieben Sinne beieinander hat.
Bei seiner Übung deckt Reuss den ganzen Sprachschwulst der Zeit auf. Wer zum Beispiel von „content“ spricht, ignoriert, was „die ganze abendländische Tradition“ hervorgebracht hat. Der Ausdruck „beinhalten“ (statt "enthalten") wiederum ist triumphalistische Wichtigtuerei. Man denkt dabei an die „barbarische, vom Trinkgefäss abgeleitete Vorstellung eines Behälters und einer von ihm unabhängigen Befüllung“.
Wissen muss jeder und jede sich aneignen, „content“ nicht, es steht zur Verfügung. Eine Buchseite ist ein Konzentrationsfeld und lesen etwas anderes als ein „Besuch“ („visit“) auf einer Seite im Netz.
Wie tut es wohl, dass einer hier mit dem ganzen potenzierten Gehabe des Pirateriezeitalters aufräumt und sich auf die einfachen Voraussetzungen jeder kulturellen Tätigkeit besinnt.
Dass Reuss dabei „den Hasen mit dem Ochsen jagen“ will, wie er einen von ihm zitieren Troubadour sagen lässt, macht ihn nicht zum Ritter von der traurigen Gestalt, sondern zeigt ihn als Unbequemen und Unbeugsamen, der das Unmögliche versucht, auf das es ankommt. Die Anstrengung ist der Preis für das Gelingen.
Ein Vergleich zum Schluss. Kürzlich hat der französische Museumsmann Jean Clair in seinem ebenfalls kleinen und radikalen Buch die Eitelkeiten der Kunstszene und des Kunstmarkts angeprangert, mit den genau gleich klaren Worten. Deutlichkeit tut not.
(30. November 2012)