Der Winter ist machtvoll zurückgekehrt. Mitten im März, kurz vor Ostern, wenn das Leben wieder aufersteht. Während 25 Minuten hat der französische Nachrichtensender „France 2“ heute über das Wetter im Norden Frankreichs referiert, wohl wissend, dass es genau dies ist, was die Menschen bewegt. So heftig, so unberechenbar das Wetter ist, so nachhaltig beeinflusst es das Denken der Menschen, obwohl seit Tagen die bevorstehende Papstwahl alles andere in den Schatten stellt. Aber jetzt ist ein Szenenwechsel eingetreten, und das Wetter verdrängt die vatikanische Semantik.
Stromausfälle werden in Frankreich gemeldet. Die Menschen zünden zu Hause Kerzen an, was sie sonst nur in romantischen Situationen tun. Noch schlimmer ist es, dass viele von ihnen womöglich die zweite Nacht unterwegs in ihren Autos auf den verschneiten Strassen verbringen müssen. Die Züge verkehren nicht mehr, die Strassen sind verschneit, der Verkehr ist zusammengebrochen. Rien ne va plus, das Wetter ist wie die Börse mit ihren Kapriolen von Haussen und Baissen. Selbst die Schneeräumungsmaschinen bleiben unterwegs im Schnee stecken. Die Schulen schliessen und machen frei. Das soziale Leben ist zum Stillstand gekommen. Experten haben bereits die ökonomischen Schäden berechnet.
Der Zusammenbruch hat fast etwas Sakrales. Immer haben die Menschen sich als Beherrscher der Schöpfung betrachtet. Jetzt müssen sie mit einem Mal erkennen, dass es ganz anders ist. Eine aussergewöhnliche Situation ist eingetreten, die ihnen eine narzisstische Kränkung zugefügt hat.
Eine numinose höhere Macht hat das Kommando übernommen. Endlich sind die Menschen von der Last ihres freien Willens erlöst und der Macht der Fatalität ausgesetzt. Man kann nichts machen, nur die Ohnmacht geniessen – wie wunderbar, jeder Verantwortung enthoben zu sein, das Schicksal walten zu lassen, umso mehr, als die Gelegenheit nur selten so günstig ist, um sich mit Reklamationen über die missliche Lage Luft (und Lust) zu verschaffen. Wenn nur die Behörden oder die SNCF oder die Räumungsdienste mit ein paar Sandwiches und einer Thermosflasche und warmen Getränken zur Stelle wären. Das wäre wie Manna und eine Vorstufe des Paradieses auf Erden.
Aber nicht einmal das. So sind die Menschen zwischen Hochstimmung und Resignation hin und hergerissen und werden sich ihres Ausgeliefertseins bewusst, das sie beklagen, aber über das sie sich auch heimlich freuen.